Sonntag, 5. Februar 2012

Geschichten des Lebens II – Eine Insel




Er sitzt gebückt auf seinem Stuhl und alles was um ihn herum geschieht erscheint ihm unerträglich. Alles wirkt wie eine Farce und es zerreist ihm in seiner Trauer und den Bildern des Todes fast das Herz. Seine Augen füllen sich mit Tränen und sind mit dunklen Rändern begleitet. Der Heuchelei um ihn herum will er nicht beiwohnen, also verkneift er sich seine Tränen. Sein innerer Kampf wird für sie immer sichtbarer. Die Kieferknochen treten durch seinen Biss hindurch die Kälte in seinem fahlen und weißen, ebenso wie zusammengefallenen Wangen zum Vorschein. Sein Blick ist kalt und leer. Selbst seine Augen haben ihr strahlendes Blau verloren. In ihm steigt immer mehr Wut empor. Nicht wegen dem Verlust. Nicht wegen dem Tod. Nicht wegen der Trauer oder der Einsamkeit, sondern einzig und allein wegen der Kälte der Menschen die ihn gerade jetzt umgeben.
Nur aus einiger Entfernung ist es ihr gegeben bei ihm zu sein. Bei ihm und seinem Bruder, der alles tun möchte, damit es ihm wieder besser geht.
Er trauert mit ihm um die Verstorbene, genauso wie er um ihn und den vorhandenen Leid trauert. Es ist ihm ein Anker, ihn an seiner Seite zu wissen, auch wenn er es nicht äußern kann, ebenso wie all die Gedanken die durch seinen Geist der Einsamkeit und des Schmerzes strömen.
Wie soll es weiter gehen? Für ihn eine wichtige Frage. Doch eine Antwort vermag ihm keiner geben, da keiner anwesend zu sein scheint, der ihm eine Antwort geben möchte. Jeder ist in seiner Tagesordnung und da darf es keine Trauer und auch keinen Verlust geben, ebenso wie es keinen Schmerz und keine aufrichtigen Tränen geben darf. Alles erscheint nur wie ein Spiel und er steht hilflos mittendrin. Wie kann sie ihm helfen? Was kann sie tun, damit es ihm wieder etwas besser geht? „Kind du musst deiner Trauer freien Lauf lassen. Du kannst nicht alles in dir verbergen, nur aus der Gleichgültigkeit der anderen und deiner Angst heraus. Du musst dich davon befreien.“ Das und noch viel mehr möchte sie ihn wissen lassen und ihn schützend in ihre Arme hüllen.
Geduldig ertragen sie das Szenario, welches sich in der eisigen Kälte bietet. Anschließend macht er sich daran die Räumlichkeiten und die Trauergesellschaft fluchtartig zu verlassen. Am liebsten möchtest er rennen. Ganz weit weg rennen, nur damit er mit sich und seinem Schmerz alleine sein kann. Damit er einfach sein kann und nicht mehr so tun musst als ob. Du willst nicht so sein wie alle anderen, obwohl die Einsamkeit frisst ihn bald auf. Seinen Bruder hält er fest in seiner Hand und sie rennen von dannen.
Sofort erkennt sie was geschieht und da das Geschehen keinem weiter auffällt, folgt sie ihnen ganz intuitiv. Auch, wenn sie damit die Formen des Scheines der restlichen Gesellschaft über Bord wirft und sie missachtet, doch seine Sorgen und seine Trauer, sein für sie sichtbarer Schmerz ist so groß, das ihr Mitgefühl nicht anders kann, als den beiden Kindern zu folgen. Irgendwann weit ab vom eigentlichen Geschehen bleiben sie stehen, wissend das sie bei ihnen ist.
Er lässt sich in ihre Arme sinken und einfach nur halten. Eine lange Weile stehen sie da. Sie schweigen und sie hält ihn einfach nur in ihren Armen. Das erste Mal, seit er dem Tod in die Augen blicken musste, konnte er loslassen und die Nähe zu einem Menschen zulassen. Das erste Mal seit diesem Erleben, konntest er für diesen langen Moment schwach sein und spüren das er aufgefangen, getragen und gehalten wird.
Einfach nur da stehen und nicht alleine sein. So verweilen sie eine lange Weile, selbst die empörten Beobachter lassen sie an sich vorbei ziehen. Als wäre er behütet und beschützt in einem Kokon und nichts von dieser Scheinwelt kann ihm etwas anhaben. Zum ersten Mal seit diesen Tagen bekommt er von dem nichts mit und lässt einfach geschehen was geschieht. Alle Kontrolle über ihn, seinen Körper und die Gegebenheiten zwischen all diesem Ganzen lässt er endlich los.
Irgendwann lösen sie sich aus ihren Umarmungen und laufen umher. Sie halten sich alle an den Händen und laufen einfach so vor sich hin. Immer wieder versucht sie ihm Mut zu zusprechen, denn alles was sich in ihm angesammelt hat muss raus, sonst zerfrisst es seine Seele. Dafür ist er  einfach noch zu jung und zu klein. Sie reden lange und immer mehr kannst er sich öffnen, als wäre sie eine Insel, der er immer mehr vertrauen schenken kann. Ein Ort an dem er einfach sein kann und reichlich mit Wärme, Liebe, Trost und Geborgenheit beschenkt wird. Immer wieder ist der Tag mit langem Schweigen unterbrochen, doch es bedarf auch keiner weiteren Worte, denn alles was es zu sagen gab, wurde gesagt. Sie sitzen bis zum Abend und tragen sich gegenseitig in all dem was in ihnen wohnt, bis sie sich wieder trennen müssen.
Eine Trennung mit dem Wissen für ihn, das diese Insel immer vorhanden und für ihn erreichbar ist, wann immer er es will und braucht. Eine Insel auf der er einfach sein kannst und die ihn geborgen und sicher einhüllt. Dem Wissen er ist nicht mehr einsam und allein, sondern immer gibt es jemanden der ihn auffängt und hält.






C. by Emma Wolff (3.2.2012)

2 Kommentare:

  1. Liebe Emma,

    diese Geschichte hat mit tief ergriffen. Subtil führst Du mit wunderbaren Worten durch das Geschehen, durch eine tiefe Trauer, an dessen Ende ein Licht der Hoffnung aufflackert. Du zeichnest die falsche Heuchelei der Menschheit auf, unaufdringlich, aber bestimmt. Oft entsteht diese durch Hilflosigkeit gegenüber trauernden, oft aber ist es nur gespieltes Mitleid.

    Danke für diese wunderbare Erzählung...

    Herzlichst und alles Liebe

    Hans-Peter

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    1. Lieber Hans - Peter,

      hab vielen lieben Dank für deine Worte. ES gibt immer viele Gründe die Menschen so handeln lässt, zwei davon hast du schon genannt, ebenso ist es aber auch die eigene Angst, Nähe zuzulassen oder auch die Angst sich mit der Thematik und dem Tod auseinander zusetzen, wobei er ebenso zu uns gehört wie das Leben an und für sich.

      So wünsche ich dir einen wundervollen Sonntag und schicke dir ganz viele liebe Grüße in die Schweiz...

      Emma

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