Sonntag, 2. Dezember 2012

Geschichten des Lebens XLV – Wie sag ich es meinem Kind




Weihnachten wird es in diesem Jahr nicht geben!“, fertig Punkt aus.
Nein, dass kann sie nicht machen. Das wäre ein zu großer Schock für ihr Kind. Aber was soll sie sagen? Soll sie ganz hart sein und die Ängste schüren? Wessen Ängste? Sie hat doch selber panische Angst vor dem was kommen wird. Das ausgerechnet jetzt.
Es gibt kleine Auffälligkeiten auf dem Bild. Wir werden zur Sicherheit eine Biopsie durchführen. Aber machen sie sich keine Sorgen. Es ist nur Routine.“, hatten sie gesagt.
Leider müssen wir noch ein paar Gewebeproben nehmen, aber es ist nur zur Sicherheit. Also kein Grund zur Besorgnis.“, hatten sie beim nächsten Mal gesagt.
Ach da wird nichts schlimmes sein, sonst hättest du die Ergebnisse schon längst.“, hatte ihre Freundin gesagt und wollte mit den Worten beruhigen.
Alle haben ihr irgendetwas gesagt, aber am Ende muss sie da alleine durch. Keiner hat ihr gesagt, wie man sich keine Sorgen machen soll, wenn die Gefahr droht. Keiner hat ihr gesagt, wie sie mit der Angst leben soll. Keiner hat ihr gesagt, was kommen könnte. Alle haben versucht es runter zuspielen. Aber sie hat es gespürt. Ja, sie hat es gewusst.
Nur wie sage ich es meinem Kind? Wie sage ich meinem Kind, das ich bald nur noch eine Brust haben werde? Wie sage ich meinem Kind, das ich Krebs habe? Wie sage ich ihm, das ich Weihnachten nicht bei ihm sein kann? Das es nicht das Fest geben wird, wie er es kennt. Wie sage ich meinem Kind, das die Ärzte nicht wissen, wie es wirklich um mich steht? Wie sage ich meinem Kind, all diese ganzen Sachen, ohne dass er Angst haben wird? Angst vor mir. Angst vor dem Leben. Angst vor dem Krebs. Angst vor dem Sterben. Er musste schon oft miterleben, wie Menschen sterben. Er hat so viele Ängste, da kann ich jetzt nicht mehr sein. Ich muss ihn doch beschützen. Ich muss ihm Sicherheit geben. Ich muss eine Mutter für ihn sein. Nur wie kann ich eine Mutter sein, wenn ich diesen Kampf durchleben muss? Wie kann ich es schaffen, für ihn ein ganz normales Leben zu gestalten, ohne dass er etwas mitbekommt? Ich möchte, dass er eine wundervolle Adventszeit verbringen kann. Ich möchte für ihn da sein. Ich möchte für ihn die Geschenke unter den Weihnachtsbaum legen.
Aber wie?
Ich weiß es nicht.
Ich weiß es nicht.“

Sie ist so verzweifelt, weil sie Angst hat vor dem was kommen wird. Sie möchte keinen Schmerz und Kummer bereiten. Sie weiß aber auch ganz genau, das ihr Sohn etwas spürt. Das sie es nicht verheimlichen kann. Sie kann nicht einfach den Kampf aufnehmen, ohne dass er davon Bescheid weiß. Was wäre, wenn sie es nicht schafft? Wäre das nicht viel schlimmer? Sie war immer sehr offen und ehrlich zu ihm. Die schwierigsten Themen haben sie schon einmal besprochen. Also, wieso sollte er das jetzt nicht auch verstehen? Vor allem, wie soll er sonst verstehen, wenn sie lange im Krankenhaus ist? Wenn es ihr nicht gut geht? Wenn sie zusammen keine Plätzchen backen können oder er mit seinem Papa alleine unterm Weihnachtsbaum sitzt?

Alleine der Gedanke daran, dass sie jedem Moment dieses schwere Gespräch führen soll, lässt sie Schweißausbrüche bekommen.
Gleich nach dem Mittagessen spricht sie mit ihm und erklärt ihm ganz genau was los ist. Sie versucht es so genau und sachlich zu halten, wie es nur geht. All seine Fragen versucht sie zu beantworten. Sie ist sehr erstaunt darüber, wie erwachsen er mit dem Thema umgeht. Alleine dieses Erleben, zwingt sie gegen die Tränen anzukämpfen. Nein, sie möchte nicht vor ihm weinen. Sie weiß aber jetzt ganz genau das sie diesen Kampf, egal wie, überleben wird und spürt dies tief in ihrem Herzen, als der Kleine aufsteht, sie in den Arm nimmt und fest an sich drückt, während er ihr ins Ohr flüstert.
Das wird ein ganz tolles Weihnachten. Es ist egal ob hier oder in der Klinik. Wir werden Zusammensein.“

© by Emma Wolff (25.09.2012)




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