„Mama,
was ist denn los? Warum stehst du am Fenster? Ist da was Besonderes?“
hört sie im Hintergrund fragen.
Sie
schüttelt nur mit dem Kopf. „Nein, ich schaue einfach nur aus dem
Fenster und betrachte die Natur. Die Sonne wird bald untergehen.“
Ihren
Blick lässt sie die ganze Zeit aus dem Fenster schweifen. Sie wird
wie in einen Bann gezogen. Nur der Moment und sie. Die Sonne, die
alles in ihr so warmes Herbstlicht eintaucht und noch prächtiger
erscheinen lässt. Die Farben des Laubes machen sich in kaum geahnter
Intensität breit. Sie holt ganz tief Luft. Eine Backsteinmauer, die
ihr Auge nur aus einem Winkel heraus erfasst, leuchtet in einem
wundervollen Karminrot. Niemals zuvor hat sie Weinranken an dem
Gestein bemerkt. Ranken die in ihrem tiefen Rot noch intensiver
strahlen, dass sie sich regelrecht von dem Rot der Wand abheben und
ihr damit ins Auge stechen. Sie atmet ganz tief ein und kann es kaum
glauben, dass ihr das vorher noch nie aufgefallen ist. So viel
Schönheit direkt vor ihren Fenster. Sie hat es vorher noch nie so
wahrgenommen, dass es sie im Innersten verharren lässt und berührt.
Sie
verspürt immer mehr, wie sich ihr Herz dieser Schönheit öffnet,
ebenso wie sie den Blick weiter über die Landschaft und den Horizont
schweifen lässt. Durch das immer wärmer scheinende Licht der
untergehenden Sonne, schimmern die Kronen der Bäume in goldenen
Tönen über ihren Blick. Manche tauchen in eine tiefes Rot und
wieder andere schimmern golden gelb. Sie beobachtet wie der Wind
immer wieder durch die Äste fährt und einzelne Blätter mit sich
zieht, sie regelrecht im Licht und Schimmer, in all ihren
unterschiedlichen Nuancen der Rottöne vor ihr tanzen lässt. Als
würde die Sonne eine Melodie singen und die Blätter tanzen im
Einklang der Zeit mit dem Wind. Sei saugt alles immer mehr in sich
auf. Das Wissen, das eine kalte und ruhige Zeit über alles
hereinbrechen wird und gleichzeitig eine versteckte Sehnsucht die
über sie hereinfällt. Eine Sehnsucht nach Liebe, die sie zwar in
diesem Moment verspürt, jedoch für sich alleine, in sich tragen
muss und die Sehnsucht nach seiner Nähe. Sie schließt für einen
Atemzug die Augen, möchte alles noch intensiver in sich aufnehmen,
um es lange in ihrem tiefsten Inneren, dem Herzen zu speichern, um
diese Schönheit und diese Liebe in sich zu tragen, da sie weiß,
dass sie diesen Anblick jetzt zwar für sich alleine hatte, jedoch
das Gefühl jederzeit weitergeben kann.
Die
Liebe ist ein Teil von ihr, geboren in ihr. Sie weiß der Zeitpunkt
wird kommen und dann kann sie es mit ihm teilen. Solange trägt sie
es in ihrer Brust und lässt die Sehnsucht für diesen kleinen Moment
zu. Ihre, diese Liebe, in und mit der Vergänglichkeit des Lebens.
©
by Emma Wolff (24.09.2012)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen