Sonntag, 4. November 2012

Geschichten des Lebens XLI – Liebe in der Vergänglichkeit




Mama, was ist denn los? Warum stehst du am Fenster? Ist da was Besonderes?“ hört sie im Hintergrund fragen.
Sie schüttelt nur mit dem Kopf. „Nein, ich schaue einfach nur aus dem Fenster und betrachte die Natur. Die Sonne wird bald untergehen.“
Ihren Blick lässt sie die ganze Zeit aus dem Fenster schweifen. Sie wird wie in einen Bann gezogen. Nur der Moment und sie. Die Sonne, die alles in ihr so warmes Herbstlicht eintaucht und noch prächtiger erscheinen lässt. Die Farben des Laubes machen sich in kaum geahnter Intensität breit. Sie holt ganz tief Luft. Eine Backsteinmauer, die ihr Auge nur aus einem Winkel heraus erfasst, leuchtet in einem wundervollen Karminrot. Niemals zuvor hat sie Weinranken an dem Gestein bemerkt. Ranken die in ihrem tiefen Rot noch intensiver strahlen, dass sie sich regelrecht von dem Rot der Wand abheben und ihr damit ins Auge stechen. Sie atmet ganz tief ein und kann es kaum glauben, dass ihr das vorher noch nie aufgefallen ist. So viel Schönheit direkt vor ihren Fenster. Sie hat es vorher noch nie so wahrgenommen, dass es sie im Innersten verharren lässt und berührt.
Sie verspürt immer mehr, wie sich ihr Herz dieser Schönheit öffnet, ebenso wie sie den Blick weiter über die Landschaft und den Horizont schweifen lässt. Durch das immer wärmer scheinende Licht der untergehenden Sonne, schimmern die Kronen der Bäume in goldenen Tönen über ihren Blick. Manche tauchen in eine tiefes Rot und wieder andere schimmern golden gelb. Sie beobachtet wie der Wind immer wieder durch die Äste fährt und einzelne Blätter mit sich zieht, sie regelrecht im Licht und Schimmer, in all ihren unterschiedlichen Nuancen der Rottöne vor ihr tanzen lässt. Als würde die Sonne eine Melodie singen und die Blätter tanzen im Einklang der Zeit mit dem Wind. Sei saugt alles immer mehr in sich auf. Das Wissen, das eine kalte und ruhige Zeit über alles hereinbrechen wird und gleichzeitig eine versteckte Sehnsucht die über sie hereinfällt. Eine Sehnsucht nach Liebe, die sie zwar in diesem Moment verspürt, jedoch für sich alleine, in sich tragen muss und die Sehnsucht nach seiner Nähe. Sie schließt für einen Atemzug die Augen, möchte alles noch intensiver in sich aufnehmen, um es lange in ihrem tiefsten Inneren, dem Herzen zu speichern, um diese Schönheit und diese Liebe in sich zu tragen, da sie weiß, dass sie diesen Anblick jetzt zwar für sich alleine hatte, jedoch das Gefühl jederzeit weitergeben kann.
Die Liebe ist ein Teil von ihr, geboren in ihr. Sie weiß der Zeitpunkt wird kommen und dann kann sie es mit ihm teilen. Solange trägt sie es in ihrer Brust und lässt die Sehnsucht für diesen kleinen Moment zu. Ihre, diese Liebe, in und mit der Vergänglichkeit des Lebens.


© by Emma Wolff (24.09.2012)



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