Sonntag, 7. Oktober 2012

Geschichte des Lebens XXXVII – Wolken fliegen




Wir müssen noch warten hat seine Mutter gesagt. Irgendwie kann und möchte er das nicht verstehen. Sie hatten doch einen Termin? Wieso soll er jetzt noch warten? Er will nicht hier sein. Er will nicht warten. Es nervt ihn.
Nun soll er auf einem Stuhl sitzen und warten. Das will er nicht.
Er schaut sich im Raum um. Da ist aber nichts was ihn interessieren könnte. Also beobachtet er seine Mutter und schaut zu wie sie sich eine Zeitschrift aus dem Regal nimmt und einfach zeitvertreibend in dieser Blättert. So schnell wie das geht, kann es nicht sein das sie darin liest. „Sie schaut garantiert nur die Bilder an.“, stellt er für sich fest. Er weiß, dass seine Mutter sonst nie solche Zeitschriften liest. Es langweilt ihn so sehr hier zu sitzen, nur weiß er, dass seine Mutter nicht einfach so wieder gehen würde. Ebenso wie er auch weiß, dass er sich eher Ärger einhandelt, wenn er jetzt meckert und jammert. Seine Mutter mag das nicht. Vor allem in solchen Situationen, die sie nicht ändern kann. Also schaut er abermals im Raum herum und betrachtet alles ganz genau. Nur irgendwie will die Zeit nicht vergehen. Es bleibt ihm nichts anders übrig, als weiter zu warten.

Er steht auf und geht zum offenen Fenster. Er legt seine Arme auf die Fensterbank, verschränkt seine Hände und legt ganz vorsichtig sein Kinn darauf. Er beobachtet wie die Bäume sich durch den Wind bewegen. Sie sind schon nicht mehr ganz so grün. Einige von ihnen haben schon farbige Blätter. Hin und wieder sieht er, wie diese von den Bäumen fallen, durch den Wind nach oben getrieben werden, herumwirbeln um dann irgendwann ganz sanft zu Boden fallen. Immer wieder betrachtet er einzelne tanzende Blätter in der Luft. Er möchte irgendwann auch einmal fliegen können. Eigentlich findet er es sehr schade das Menschen nicht fliegen können, so wie die Vögel. Ohne in einem Raum zu sein, ohne eine Maschine, so wie es diese Blätter tun. Einfach fliegen und schweben und den Wind direkt auf der Haut spüren. Er würde sich als aller erstes die Stadt von oben anschauen. Er möchte sein Haus einfach mal von oben sehen. Die Wege, die er jeden Tag läuft mal abfliegen. Ja, das wäre schön. Er stellt sich aufrecht vor das Fenster, breitet die Arme aus und schließt die Augen. Hin und Wieder kann er den Wind spüren. Er holt ganz tief Luft. Mit einem Mal fühlt sich alles ganz anders an. Er spürt den Boden unter seinen Füßen nicht mehr und es ist als würde ihn etwas nach oben ziehen. Ihm wird etwas komisch zu Mute und öffnet ganz schnell die Augen. Sofort bemerkt er, dass er schwebt und immer höher treibt. Wie in einem Fahrstuhl wird er von der Luft ganz sachte immer weiter nach oben gedrückt. Er ist so fasziniert und vor Freude verblüfft, dass er nur noch staunen kann. Er fliegt.
Endlich, fliegt er in den  Himmel zu den Wolken. Endlich geht sein größter Traum in Erfüllung. Auf einer Wolke hört seine Reise nach oben auf. Er kann sich ganz beruhigt auf ihr nieder lassen. Er legt sich auf seinen Bauch, legt wie auf der Fensterbank seinen Kopf auf seine verschränkten Hände und schaut nach unten. So gleitet er hoch oben sanft auf der Wolke den blauen Himmel entlang und kann die Dächer der Stadt von oben betrachten. Er liegt einfach nur da und schaut zu, wie alles an ihm vorbei zieht. Seine Augen strahlen und er ist so begeistert, das Alles noch schöner aussieht, als er es sich vorgestellt hatte.

Mit einem Mal erschrickt er, da er eine Hand auf seiner Schulter spürt. Und ganz dumpf im Hintergrund hört er die Stimme seiner Mutter. „Na bist du wieder am Träumen? Das Warten ist zu Ende. Du bist jetzt dran.“
Ja, er hat geträumt, aber es war ein so schöner Traum, das er nichts anderes sagen kann als... „Eines Tages werde ich zu den Wolken fliegen.“

© by Emma Wolff (31.8.2012)



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen