Sonntag, 17. Juni 2012

Geschichten des Lebens XXI – Kind sein




Jedes Mal wenn er mit seinem Sohn auf dem Spielplatz ist oder er ihn von der Schule abholt, kann er es sich nicht nehmen lassen die Kinder beim spielen zu beobachten. Sein Sohn braucht nicht stets und ständig bespaßt zu werden und kann sich sehr gut beschäftigen, wenn man ihm die Möglichkeit dazu bietet ebenso wie er auch sehr schnell Anschluss zu anderen Kindern findet. So lässt er sich auf einer Bank nieder und genießt den Moment, die Luft und schaut den Kindern einfach beim spielen zu. Schnell wird ihm klar, welche Kinder zusammengehören, sich schon lange kennen oder miteinander befreundet sind und welche zu den sogenannten Außenseitern zählen. Gleichzeitig trägt er aber auch das Gefühl in sich, dass sich das Verhalten der Kleinen sehr verändert hat, wenn er es mit seiner Kindheit vergleicht, da selbst im Spiel eine gewisse Gewaltbereitschaft auffällt, ebenso wie eine wesentlich niedrigere Aggressionsschwelle und es noch mehr um Besitz von Menschen und materiellen Dingen geht, als es damals der Fall war. Es wird mehr manipuliert und gleichzeitig muss er feststellen das sogar auf dem Spielplatz gemobbt wird. Sollte er so viel aus seiner Kindheit verdrängt haben, dass es ihm nur so erscheint oder hat sich wirklich etwas geändert? Kinder konnten schon immer grausam sein, was er auch aus eigener Erfahrung heraus weiß. Aber dennoch hat er es nicht so in seiner Erinnerung, oder sollte seine Harmoniesucht und sein Versuch die Welt ein bisschen besser und friedlicher zu machen, dies nur so erscheinen lassen?
Sind Kinder doch nur ein Spiegel der Familien und Gesellschaft und wir sehen die Welt so wie wir sind und sie sehen wollen.
ER denk an Gespräche mit Eltern und Lehrern. Immer wieder hört er dabei, dass Kinder diese oder jene Störung aufweisen, deren Namen es früher noch nicht einmal gab. Immer wieder brechen diese Kinder aus diesem Zwang und aus sich heraus. Die Eltern sind zum Teil verzweifelt und überfordert und heute gehört es schon fast zum guten Ton, wenn es eine Diagnose gibt. Manche nutzen diesen Zustand und machen etwas daraus und andere nehmen es nur als Entschuldigung, ebenso wie sie so auch Medikamente bekommen, die ihre Kinder ruhig stellen und funktionieren können. Dabei kann es doch so einfach sein. Dabei gibt es doch so viele Gründe und Ursachen, wie man etwas aus dieser Situation machen und sie nutzen kann. Leider muss er feststellen, das sehr unachtsam mit diesen Medikamenten umgegangen wird und sie von den Ärzten auch viel zu schnell verschrieben werden. Aber wieso ist das so? Haben sich die Menschen so sehr geändert das sie sich nicht mehr miteinander auseinandersetzen wollen oder haben sie es noch nie getan und ihm war es einfach nicht so bewusst. Wenn er zurückdenkt, dann kann es sich erinnern das er als Kind seine eigenen Interessen hatte und auch seine Eltern nie viel Zeit für ihn hatten, da sie arbeiten mussten. Jedoch ging es ihm nicht schlecht und er hat sich auch nicht vernachlässigt gefühlt, denn die Zeit die er mit seinen Eltern hatte, war dafür um so intensiver. Er hatte genau seine Aufgaben die er zu erfüllen hatte und ansonsten war er Kind. Nur können Kinder wirklich noch Kinder sein und mal ausgelassen im Wald spielen? Wie viele Kinder werden vernachlässigt, ebenso wieviele Kinder werden heute einfach so mit Förderung überfordert das sie kaum noch Zeit haben Luft zu holen. Natürlich möchte auch er das beste für seinen Sohn, aber ist er ein schlechter Vater wenn er sagt, mein Kind soll solange Kind sein wie es geht und spielen können. Natürlich fördert er die Interessen seines Sohnes, aber man kann es auch übertreiben. Wenn er so an sich und Zeiten denkt, die vollgepackt sind mit Situationen ohne Ruhe, dann ist er auch nicht mehr der ruhige und ausgeglichene Vater der er sein möchte und im Grunde seines Wesens auch ist. Also warum tut man es den Kindern an. In der Schule muss eine Aktivität und Projekt nach dem anderen gestartet werden, so dass die Zeit für die Grundlagen viel zu kurz kommt und die Kinder hier schon in Stress kommen, da alles für wichtig abgehandelt wird. Selber findet er die Projekte auch sehr interessant, aber es sollte doch mehr hervor getragen werden, was ist wichtig und was nicht. Es soll das Zusammenleben fördern. Komisch warum merkt er das nicht.
Gleichzeitig kommt die Schule oder irgendein Arzt an, und meint zu wissen was für ein Hobby und eine Therapie notwendig ist, nur damit das Kind ordentlich gefördert und gesellschaftsfähig gemacht wird. Am Ende ist jedes Interesse des Kindes abgestorben, es lebt in einer ständigen Reizüberflutung und es wird auf Funktionieren konditioniert, aber die Individualität des Menschen geht verloren.
Je weiter er seinen Gedanken freien Lauf lässt und je tiefer er hineingeht, um so mehr verspürt er die Wut in sich und gleichzeitig wird ihm auch immer klarer, ja es hat sich etwas geändert.
Die Eltern, sind entweder gestresst weil sie meinen das das Kind eine Förderung, ein Training, eine Fremdsprache und ein Musikinstrument mehr beherrschen müssen und nur dann bestand hat oder weil sie durch Schule und Ärzte so sehr unter Druck geraden, ebenso wie die Eltern auch durch ihren eigenen Stress durch Arbeit und Alltag die Kinder nicht mehr wirklich wahrnehmen können und sich damit nicht auseinandersetzen können. Ja es hat sich etwas geändert und es wundert ihn auch nicht, das er trotz aller Bemühungen von Gleichberechtigung, Integration und sonstigen Projekten, dieses Geschehen immer wieder beobachten muss. Nein das will er für seinen Sohn nicht.
Obwohl er seinen Sohn auch fördert, so reduziert sich dies einzig und alleine auf das wesentliche und die Interessen. Lieber nur eine Sache und die dann voll und ganz. Und dennoch fragte sein Sohn ihn immer wieder, wann habe ich denn mal Zeit um mit meinen Sachen zu spielen. Das war sehr erschreckend für ihn gewesen, denn es hat ihm nicht nur sein in ihm schlummerndes Gefühl gezeigt sondern es hat ihm die eigentlichen Bedürfnisse gezeigt, die sein Kind hat.
Er ist ein Kind und das soll er auch noch sein. Seit dem verbringen sie noch mehr Zeit zusammen, aber nicht damit, das er ihn von A nach B bringt, sondern Zeit zum Spielen und einfach gemeinsam Sein. Er pfeift darauf, was andere davon halten, doch er weiß das er seinen Sohn glücklich macht und seit dem sind auch die letzten Spannungen und Probleme in der Schule verschwunden, einfach und alleine durch die Tatsache, das er sich mit den Bedürfnissen seines Kindes auseinander gesetzt hat und das Ergebnis dieser Offenheit und des Vertrauens zueinander nutzen. Ebenso wie er im Nachhinein sich eingestehen muss, das er seinen Sohn für diesen Mut einfach noch mehr Lieben muss, als er es so schon tat, denn es zeugt von einer gewissen Stärke und zeigt ihm das es mal ein toller Mensch werden wird, der jetzt eben noch Kind sein darf.

© by Emma Wolff (29.05.2012)



3 Kommentare:

  1. Danke dir Emma für diese schöne Geschichte. Sie zeigt, dass es auch anders geht.

    Meine Kindheit kannte noch Großeltern mit Bauernhof, Obstbäumen Landwirtschaft und Garten mit eigenem Anbau, dessen was man so isst.
    Auch meine Eltern bauten alles selbst zum Leben an. Dann gab es noch Hühner, die die Eier zum täglichen Bedarf legten, Kaninchen, die zu meinem Leidwesen geschlachtet wurden und einmal auch ein Schaf, das nicht bei der Herde eines Schäfers aus der Nähe bleiben konnte, weil schon Winter und es dann erfroren wäre. So zogen wir das Schaf in der Wohnung mit der Flasche auf.

    Viele Kinder heute haben überhaupt keinen Bezug mehr zu den Dingen des täglichen Bedarfs. Ich kann nicht zählen, wie oft ich schon den Spruch von den lila oder blauen Kühen gehört habe, und das, obwohl wir nicht einmal in der Stadt wohnen.

    Über 30 Jahre hab ich Nachhilfe und Hausaufgabenbetreuung für Kinder und Jugendliche durchgeführt. Zwei Dinge fielen mir dabei besonders auf:

    - Der Druck in der Schule und das viel zu schnelle Bewältigen müssen von viel zu viel Lernstoff.

    Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass der Mensch das Gelernte nur dann wirklich nutzen kann, wenn es mindestens drei Mal wiederholt wurde, denn so lange braucht das Kurzzeitgedächtnis, bis es ins Langzeitgedächtnis wandert und fürs Leben nutzbar ist.

    - Das Zweite, was mir auffiel war, dass die Kinder keine Möglichkeit haben, das
    Erlernte praktisch auszuprobieren. Meistens sind beide Elternteile berufstätig und wenn sie nach Hause kommen, wehe da ist irgendeine Unordnung, egal wo.

    Früher ging Lernen immer mit eigenen Erfahrungen einher.

    Viele Kinder und Jugendliche greifen deshalb immer mehr zu Drogen oder verhalten sich auffällig bis hin zu Diebstählen.

    Ich selbst habe mehrere Berufe, doch ich wollte meine Tochter nicht von jemand Anderem aufziehen lassen, vor allem aber wollte ich ihr die Möglichkeit geben, Kind zu sein und praktische Erfahrungen zu machen. Deshalb arbeitete ich so, dass ich sie mitnehmen konnte. Ja, das ist tatsächlich möglich.
    Früher waren Kinder auch in einem Familienverband integriert, ob bei den Eltern oder den Großeltern.
    Ich verlegte meine Arbeit auf Altenbetreuung und Pflege im privaten Bereich. Viele ältere Menschen möchten noch so viel wie möglich alleine bewältigen und nicht in einem Altenheim dahinvegetieren. Alles was sie brauchen ist Unterstützung.
    Zusätzlich hatte ich noch einen Putzjob und machte zu Hause Näharbeiten und Änderungsschneiderei und Schreibarbeiten.

    Das Resultat ist: meine Tochter, jetzt 27, hat einen lebendigen Bezug zum Leben. Sie achtet Kinder wie alte Menschen. Da wir nebenbei noch ein kleines Tierasyl betreuen für ausgesetzte und mißhandelte Meris, Kaninchen und Katzen, hat sie schon sehr früh ohne Zwang Verantwortungsbewusstsein entwickelt. Wenn ich Näharbeiten machte, saß sie daneben und nähte Kleider für ihre Barbies. Da ich auch Schreiner bin (in Schreinerwerkstatt aufgewachsen), fing sie schon mit 4 Jahren an, Nägel in Holzbretter einzuschlagen und so Nagelbilder zu fertigen. Zusammen bauten wir im angrenzenden Wald ein Baumhaus und und und….

    AntwortenLöschen
  2. Die Jugendlichen, für die wir auch Anlaufstelle waren, waren so total auf eine Form festgelegt, dass große Unzufriedenheit die Folge war. Sie rauchten, tranken und stahlen.
    Bei uns war die Türe niemals verschlossen, manche übernachteten auch bei uns, wenn sie sich nicht trauten nach Hause zu gehen. Natürlich informierte ich die Eltern, die mir vertrauten, so wie auch die Jugendlichen, weil ich ihnen vertraute.
    Niemals wurde ich bestohlen – niemals wurde mein Vertrauen missbraucht.

    Sechzehnjährige, die sich mokierten, weil ich malte, der Meinung waren, das sei nichts für Männer, saßen dann nebeneinander an Tischen und machten Malen nach Zahlen. Jungs, die der Meinung waren, Küche ist nur für Frauen, durften bei mir in der Küche experimentieren. Was dabei herauskam war manchmal himmelschreiend, doch es machte totalen Spaß. Jungs, die immer nur ihre harte Seite zeigten, lagen bei Sternenhimmel im Sommer zu mehreren auf zwei aneinander gelegten Matratzen auf der Terrasse und kuschelten.
    Normal in unserer Gesellschaft undenkbar, doch dadurch durften sie ganz werden, indem sie auch ihre andere Seite nähren und entwickeln durften.

    Alle, ohne Ausnahme, und es waren mehr als 20 Jungs, die überwiegend mit gestörtem Verhalten bei mir eintrafen, alle freiwillig, es sprach sich einfach herum, wirklich alle haben dann ihren Abschluß geschafft, auch höhere Schulen, haben eine Ausbildung gemacht, stehen im Beruf und haben zum Teil auch schon Familie. Und kein einziger wurde je wieder auffällig, was für ihre Lehrer eine große Überraschung war.

    Den größten Fehler in der heutigen Zeit sehe ich darin, dass nur Vorschriften und Verbote gemacht werden. Auf diese Weise kann sich keine natürliche Kreativität entwickeln, die aber notwendig ist, um Probleme zu lösen.
    Alles was ich tat war, ihnen zuzuhören und ihnen Lösungsmöglichkeiten anzubieten, entscheiden konnten sie dann selbst. Auf diese Weise hatten sie dann Erfolgserlebnisse und lernten Eigenverantwortung.

    Es gibt nichts, das endgültig ist, es gibt nur immer wechselnde Erfahrungen, die das Leben trotz aller Schwierigkeiten zu einem Abenteuer machen können. Wenn Kinder durch persönliche Erfahrungen dies lernen dürfen, sind sie in der Lage, an diesem Leben zu wachsen statt zu zerbrechen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke liebe Jyoti, das du deine Erfahrungen und Gedanken so offen mit mir und allen Lesern teilst. ;)

      Löschen