Sonntag, 3. Juni 2012

Geschichten des Lebens XIX – Eine Geschichte aus 5 Perspektiven – V




Tick, Tack.
Tick, Tack.
Endlich ist der letzte Karton ausgepackt. Sie fühlt sich in ihrem neuen zu Hause wohl. So lange es auch gedauert hat, wie sie parallel zu ihrer Arbeit, an jedem weiteren Abend, die Wohnung eingeräumt und gestaltet hat. Umso mehr fühlt sie sich jetzt angekommen, in diesem neuen Heim.
Ein neuer Anfang im Leben. Ein neuer Start, in einer neuen Stadt und sie fühlt sich angekommen und frei.
Am Nachmittag hatte sie ein Gespräch mit einer Nachbarin aus dem Haus, welches ihr immer noch etwas nahe geht, weil sie so manche Information nicht wirklich einordnen kann.
‚Warum können sich manche Menschen nicht klar und deutlich ausdrücken, sondern halten alles immer in der Waage. Dabei wollte sie mir doch irgendetwas Wichtiges erzählen. Es wirkte unheimlich, so wie sie von der Familie aus dem Erdgeschoss sprach.’
Tick, Tack.
Tick, Tack.
Sie genießt für einen kleinen Augenblick den Ausblick aus dem Fenster und wie alles in den Farben der untergehenden Sonne gehüllt ist, bevor sie in die Küche gehen und sich etwas zu Essen machen möchte. Sie möchte die neue Umgebung und die Stille, ebenso wie den Tag mit einem schönen Essen ausklingen lassen, bevor sie morgen früh, in neuer Frische, all das genießen möchte, was auf sie wartet.
Spontan entscheidet sie sich noch einige Blumen umzustellen und einige dieser Töpfe auf dem Balkon zu platzieren. So bekommt sie mit, dass auch ihre Nachbarin auf dem Balkon sitzt. Sie grüßt sie durch ein Nicken, da sie sofort spürt, das sie ihre Ruhe haben möchte, was sie nicht nur nachvollziehen kann, sondern auch respektieren möchte.
So hat jeder sein Päckchen zu tragen. Auch, wenn sie jetzt einen großen Teil hinter sich gelassen hat, so trägt auch sie ihres noch auf den Schultern.
Tick, Tack.
Tick, Tack.
Als sie in der Küche steht, wird ihr bewusst, dass sie noch bis Ende der Woche für sich alleine ist und dann auch ihre Tochter wieder bei ihr ist. Sie ist so glücklich das sie diese Zeit und die Ferien bei ihren Großeltern sein konnte, so dass alles in den neuen Räumen für sie zurecht gemacht ist und sie sich gleich wohlfühlen und ankommen kann.
Sie freut sich auf die Zukunft und möchte an die Vergangenheit auch keinen Gedanken mehr verschwenden. Obgleich, sie sich in ihren Träumen nicht ausmalen kann, was auf sie zukommen wird, so fühlt sie sich dennoch so frei, dass sie allem, was sie umgibt, einfach vertraut und alles auf sich zukommen lassen möchte.
Tick, Tack.
Tick, Tack.
Während sie sich einen Tee kocht, hört sie auf einmal lautes Männergebrüll aus der Wohnung unter ihr. Sie hört wie etwas zerbricht. Wie das Treiben immer lauter und wilder wird. Sie hat die Fenster und auch die Balkontüre noch geöffnet. Sofort fällt ihr das Gespräch mit der Nachbarin ein. Als sie diese Fragen möchte, ob sie dieses Geschehen heute in ihrem Gespräch meinte, bekommt sie nur noch mit, wie diese fluchtartig den Balkon verlässt und alle Fenster und Türen verschließt. So wirklich kann sie dieses Verhalten nicht verstehen, doch sie kann in diesem Moment nichts daran ändern und geht zurück in ihre Wohnung.
Tick, Tack.
Tick, Tack.
Immer lauter wird das Geschrei. Seine Wut ist selbst in ihr zu spüren. Sie hört wie mehr geschieht, als nur das Gebrüll des Mannes. Sie fühlt sich nicht wohl, bei dem was sie tut. Sie geht in den Hausflur, in der Hoffnung, dass sie noch mehr mitbekommt, da sie nicht etwas tun möchte, was aus falscher Annahme rührt. Der Lärm und die Aktivitäten des Mannes schallen durchs ganze Treppenhaus. Sie ist sich nun ganz sicher, dass er nicht nur in der Wohnung herum schreit, sondern dass er seine Frau schlagen muss. Alles geschieht so sehr schnell. Sie überlegt einfach nicht und agiert nur. Sie weiß nur, dass sie das nicht einfach so geschehen lassen kann. Nein sie muss etwas tun.
Tick, Tack.
Tick, Tack.
Sie greift sofort nach dem Telefon, als sie zügig und auf Zehenspitzen wieder in ihrer Wohnung zurück ist. Ohne lange zu zögern, ruft sie die Polizei und bittet um Hilfe. Sie schildert in knappen Worten, was geschieht und das man bitte sofort Hilfe schicken soll, die ihr auch sofort zugesagt wird.
Danach lässt sie sich einfach nur auf dem nächsten Stuhl nieder und fühlt sich erleichtert und angespannt zugleich.
Erleichtert, dass sie den Mut gefunden hat, Hilfe für die Frau zu rufen, aber angespannt, weil ihr dieses Erleben zu nahe geht und sie sich wünscht das es schnell vorbei geht und der Frau, die sie noch nie gesehen hat, wirklich geholfen werden kann.
Tick, Tack.
Tick, Tack.


© by Emma Wolff (4.5.2012)



Anmerkung der Autorin:

Keiner sollte die Augen vor dem verschließen, was hinter verschlossenen Türen geschieht. In dieser Geschichte war das Opfer eine Frau. Jedoch darf man nie vergessen, dass dies auch sehr vielen Männern geschieht, darüber wird nur noch weniger gesprochen, weil es für den Mann einen Gesichtsverlust darstellen würde, in dieser Gesellschaft in der wir leben.
Es wird oft auf die Frau reduziert, da die Statistiken eben oft nur darauf beruhen, oder die Männer noch weniger Mut haben, Hilfe zu suchen. Umso wichtiger ist es, das es für diese auch Hilfe gibt, damit es vielleicht nicht nur ein Frauenproblem bleibt, sondern endlich gesehen wird, dass häusliche Gewalt ein gesellschaftliches Problem ist, welches sich durch alle sozialen Schichten zieht.
Dazu wird es irgendwann noch Geschichten geben, da mir auch diese schon begegnet sind.
Häusliche Gewalt ist nicht nur physischer Natur, sondern findet in psychischer Gewalt einen noch größeren Raum als anders wo.
Die Folgen und Traumatas die alle damit erleben, bleiben ein Leben lang bestehen, deswegen sollte jeder helfen und die Augen vor diesen Problemen nicht verschließen. 
Die Opfer haben keine Kraft für Mut, deswegen brauchen sie Hilfe.
Selbst wenn man nur die Polizei ruft. Jedoch man tut etwas und lässt es  nicht nur geschehen.
Ebenfalls gibt es viele Anlaufstellen, sei es das Frauenhaus, für Frau und Kind, zugleich gibt es auch Interventionsstellen und Beratungsstellen für Opfer von häuslicher Gewalt, die ihre Türen offen haben, für Frauen und Männer, sowie auch für die Kinder.
Es gibt viele Möglichkeiten, doch vor häuslicher Gewalt sollten die Augen nicht verschlossen werden. Jeder kann helfen, sei es durch eine helfende Tat oder durch das Mutspenden bei den Opfern.

Ich danke allen für das Lesen diese fünfteiligen Reihe, „Einer Geschichte aus 5 Perspektiven“ und hoffe, das einige Mut schöpfen konnten, andere die Augen nicht mehr verschließen, oder wieder andere achtsamer miteinander umgehen werden.
Emma Wolff









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