Sonntag, 27. Januar 2013

Augenblicke des Lebens III / 13 – Weiße Stille


Es ist noch tiefe Nacht und gleichwohl dringt durch die Fenster ein heller Schein. Jeder einzelne Ast der Tannen vor dem Haus ist zu erkennen. Die Dächer sind weiß umhüllt. Sie steht auf und geht zum Fenster, derer Blick für sie immer offen ist. Sie mag es nicht, wenn sich die Sicht in die Weite verbarrikadiert, deshalb lässt sie auch in der Dunkelheit die Vorhänge immer offen. Im Licht der Laterne sieht sie, das es unerschütterlich schneit. Ein kalter Schauer läuft ihr über den Rücken. Dessen ungeachtet bleibt sie einen Moment da stehen und schaut in die weiß leuchtende Dunkelheit. Alles ist ganz still. Auch von draußen ist kein Geräusch zu vernehmen. Als wäre Alles in einen tiefen Schlaf gehüllt. Ein tiefer Schlaf, der nur sie unberührt lässt. Sie legt sich in dieser ungewöhnlichen Finsternis wieder ins Bett. Sie schaut und betrachtet von dort aus, weiter die hellen Umrisse der Bäume. Jeden einzelnen Zweig. In ihren Gedanken tauchen die Bilder der Tage, ja der Jahre auf, die sie diese Tannen schon beobachtet hat. Wie die Vögel darin ihre Nester gebaut haben. Wie sie die Jungen beim wachsen beobachten konnte. Wie sie fremde Tiere verscheucht haben und auch wie sich der Anblick dieser Bäume jeden Tag ändert und sie das alles miterleben darf. Allerdings kann sie sich auch nicht erinnern, dass sie solch ein Schauspiel, wie in dieser Nacht, schon so bewusst erleben durfte. Sie, obgleich tiefe Nacht herrscht und der Himmel von der Dunkelheit des Neumondes überzogen ist, alles in solch einem strahlenden hellem Licht wahrnehmen und sehen durfte. So gesehen, genießt sie es einfach nur, freut sich über ihr Glück des Erlebens, bis sie irgendwann einfach nur einschläft.

Am nächsten Morgen wird sie von den ersten Sonnenstrahlen geweckt. Das Schneetreiben hat sein Ende gefunden. Sie spürt die Kälte des Morgens und der vergangenen Nacht in den alten Räumen. Im gleichen Atemzug vernimmt sie, wie in sich die Wärme der Freude und des Friedens, die Wärme der Liebe über das Erleben dieses Morgens ausbreitet. Sie spürt, das dies ein traumhafter Tag wird. Die Sonne steht noch tief in ihrem hellen und kalten Licht, am zart blauen Winterhimmel. Ihre Strahlen schimmern in den Eiskristallen, die sich über der dicken Schneedecke gebildet haben. Sie funkeln wie kleine Diamanten, in den kalten Farben des Winters. Allerdings in einem glänzenden und erfüllenden Licht, welches voll mit Leben steckt und die Erde an einzelnen Stellen in einen goldenen Schein erstrahlen lässt. Sie öffnet das Fenster und atmet tief die eisige Winterluft und den Duft des Schnees ein. Jeder Atemzug durchströmt sie an diesem Morgen noch mehr mit Leben. Keine Bewegung ist zu vernehmen. Kein Ast, kein Zweig und kein Tier bewegt sich. Alles ist über und über mit Schnee bedeckt. Kein Geräusch kann sie vernehmen, obwohl sie am Stadtrand lebt. Jedoch ist Alles in eine tiefe Stille gehüllt. Die selbe Stille, welche sie in der Nacht schon wahrnahm, mit dem Unterschied, das sie diese auch jetzt nicht als unangenehm empfindet. Sie spürt das Schweigen und den Frieden der unter der Schneeschicht begraben liegt und alles mit dieser Stille und Leben einhüllt. Als würde jetzt alles in einem tiefen langen Schlaf verharren, solange der Schnee sie bedeckt. Sie in ihm Ruhe und Kraft tanken können, bevor alles wieder schmilzt und die Vergänglichkeit der Jahre, in ihren Zeiten, einen neuen Verlauf nimmt. Bevor die ersten Grashalme und die Blumen langsam aus der Erde kommen, um von neuen zu aufblühen. Die Bäume ihre ersten Triebe sprießen lassen, um eines Tages wieder voll Früchte stehen zu können. Bis alles wieder voll Farbe und Pracht erblühen darf.
Jeden einzelnen Augenblick saugt sie regelrecht in sich auf, bevor sie sich in ihren Tag begibt, in die silberweiße, helle und strahlende Weite und Stille hinaus zu marschieren, um einfach nur zu sein.


Einfach nur zu sein, mit allem was in ihr lebt und sie umgibt. Voll ihrer Liebe, dem Leben, vollkommenen Frieden, inmitten der tiefen weißen Stille.

© by Emma Wolff (25.1.2013)



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