Sonntag, 23. September 2012

Geschichten des Lebens XXXIV - Fünf Minuten II




Mit einem Mal hört sie ein lautes Poltern und Knallen im Flur. Sie schrickt regelrecht auf und springt von ihrem Stuhl. Sie möchte gerne nachschauen was los ist. Noch bevor sie sich richtig erhoben hat und den ersten Schritt in Richtung Türe machen kann, springt diese mit aller Gewalt auf. Er steht in einem Rausch von Wut und Alkohol vor ihr. Bevor sie sich versehen kann kommt er auf sie zugestürmt. Im vorbei gehen greift er nach dem ersten Messer, welches auf der Anrichte liegt. Alles geht unheimlich schnell. Wie angewurzelt bleibt sie neben dem Stuhl stehen und hält sich hinter ihrem Rücken am Tisch fest. Angst und Panik wollen sich in ihr breit machen. Gleichzeitig fühlt sie sich wie betäubt und ist zu keinem klaren Gedanken in der Lage. Sie steht einfach nur da. Alles geht so stürmisch und ungestüm, dass sie dem Ganzen kaum folgen kann. Bis er mit dem Messer direkt vor ihr steht und es erhebt. Sie sich fühlt sich hilflos und gefangen. Ohne darüber nachzudenken, legt sie die Hände, die sich gerade zuvor noch im Tisch festkrallten, schützend vor ihren Bauch. Als würde sie sich und das Kind so besser festhalten können. Ihre Blicke treffen sich. Sie kann nichts anderes tun als seinem stand zu halten. Der kalte Ausdruck, die Wut, der Zorn und der Dämon des Alkohols sprechen ihre ganz eigene Sprache in seinen Augen. Ein kalter Schauer der Angst läuft ihr den Rücken herunter. Ihr ganzer Körper spannt sich so sehr an, das sie den Eindruck hat die Knie würden durchbrechen. Das Gefühl sie würde einfach umfallen. Jedoch ist sie gleichzeitig so gelähmt, das nichts dergleichen passiert. Sie verfolgt ihn mit den Augen. Immer näher kommt er an sie heran. Er schreit sie in seinem immer stärker werdenden Zorn an.
„Du hast mein Leben versaut! Du bist schuld an allem was mir widerfährt!“ Er ist gefangen im Wahn des Alkohols und schmettert es ihr mit aller Macht die freigesetzt wird entgegen.
In ihr herrscht absolute Leere. Kein Gedanke kommt in ihr zum tragen. Kein Gedanken, was sie jetzt machen könnte, um schlimmeres zu verhindern. Kein Gedanke, was sie antworten oder entgegnen könnte. Sie steht einfach nur wie gebannt da und lässt den Blick nicht von seinen, in der kaum wahrnehmbaren Hoffnung, dass es endlich vorbei geht. Das diese Szene ihres Lebens irgendwie vorbei geht. Jedes Gefühl für Zeit ist verloren. Alles rennt an ihr vorbei, dass es für sie zu surreal wirkt. Selbst wenn er jetzt zustechen würde, so wäre es jetzt vorbei. Es soll zu Ende gehen. Egal wie aber es soll Schluss sein.
In diesem Moment wird die Türe aufgerissen. Seine Mutter die einfach nur mal nach dem Essen schauen wollte, ist entsetzt über das, was sie sieht. Sie stürmt auf ihren Sohn und entreist ihm das Messer.
„Bist du des Wahnsinns?!“ schreit sie ihm entgegen.
Erst jetzt lässt er von ihr ab. Ohne ein weiteres Wort verlässt er mit seiner Mutter den Raum. Sie hingegen bleibt dabei alleine zurück.

Alle Anspannung der letzten Sekunden und Minuten fallen mit einem Male von ihr ab. Sie sackt auf den Stuhl zusammen, auf dem sie vorhin noch so friedlich gesessen hatte. Sie fühlt sich wie in Trance. Das gerade erlebte kann sie in keiner Weise realisieren. Absolute Leere ist in ihr. Kein Gedanke, keine Frage und kein Wort. Sie verspürt nur starke stechende und ziehende Schmerzen, die sich über ihren ganzen Bauch ausbreiten.
In sich ist sie vollkommen ruhig und weiß sofort in diesem gegenwärtigen Moment was zu tun ist. Sie sieht ganz klar die Lösung, auf all die vorherigen Fragen, vor sich stehen. Ohne auch nur kurz zu zögern, müht sie sich mit ihren Schmerzen hoch und läuft in den Flur, greift nach ihrer Tasche und öffnet ohne einen weiteren Gedanken um andere die Haustüre, welche auch sofort hinter ihr wieder ins Schloss fällt.
Mit dem Wissen das sie diese Wohnung und dieses Haus nie wieder betreten, diesen Teil ihres Lebens hinter sich lassen wird, holt sie ganz tief Luft und betritt die Straße, die sie in ihr weiteres und neues Leben, mit ihrem Kind entlang führen soll.


© by Emma Wolff (30.12.2010)


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen