Sonntag, 6. Mai 2012

Geschichten des Lebens XV – Eine Geschichte aus 5 Perspektiven - I




Tick, Tack.
Tick, Tack.
Der Sekundenzeiger ihres Weckers bewegt sich stetig voran, nur ihr erscheint es, als würde er in Zeitlupe seinen Weg beschreiten und die Zeit dieser Stunden des Wartens und Bangens würden niemals vergehen. Mühevoll und unter Schmerzen versucht sie sich immer wieder von ihm wegzudrehen, in der Hoffnung sie würde Schlaf finden. Dessen ungeachtet, hat die Angst zu großen Besitz von ihr ergriffen, genauso wie die Wunden auf ihrem Körper, welche seine unbändige Wut hinterlassen hat, noch ganz frisch sind.
Tick, Tack.
Tick, Tack.
Immer wieder verkrampft sich ihr ganzer Körper. Der Magen schnürt  sich zusammen und sie zittert für einige Minuten wie Espenlaub, bis sie es irgendwie geschafft hat sich wieder zu beruhigen und wie in Trance die nächsten Minuten in dieser Position verharrt. Allerdings, die Gedanken nehmen immer wieder von ihr Besitz. Die Angst sitzt ihr im Nacken.
‚Was wird in dieser Nacht noch geschehen? Wird sie den ersehnten Schlaf noch finden? Wie lange wird sie diese Tyrannei noch durchhalten?’
Tick, Tack.
Tick, Tack.
All der Mut und ihre Lebensfreude sind verschwunden und sie fühlt sich gefangen in einem abgestumpften, haltlosen, finsteren, bestialischen und erbarmungslosen Loch. Dieses Leben ist ihr eine Schmach. Ihre Kraft ist aufgezehrt und sie nimmt keinen Ausweg aus ihrer Situation bewusst wahr.
‚Er ist ja nicht immer so. Eigentlich ist er ein Mann der sie liebt. Im Grunde wollen sie doch eine Familie sein. Nein. Sie muss sich diesem Leben stellen. Es ist ja auch nicht immer so schlimm. Wir haben ja auch noch schöne Tage. Die Kinder lässt er auch in Ruhe und beschützt sie vor Allem und Jedem.’, redet sie sich immer wieder ein.
Tick, Tack.
Tick, Tack.
Erneut beginnt ihr Körper zu vibrieren. Nebenan beginnt ihre Tochter  zu weinen, so wie sie es jede Nacht tut und das schon seit Monaten. Ja, fast Jahren. Sie weiß es nicht mehr. Die Zeit. Sie weiß nicht mehr, wie viel Zeit vergangen ist, seit dem letzten Mal seines unbändigen Wutausbruchs. Sie weiß nicht mehr, wann es überhaupt angefangen hat. Sie ist betäubt, wie gelähmt. Das Schreien der Tochter wird immer schlimmer. Sie schafft es nicht aufstehen. Jede Bemühung ist zu viel. Ihr Körper macht das nicht mehr mit. Sie betet zu Gott.
‚Bitte, mach das sie wieder einschläft. Bitte, hilf mir und meinen Kindern. Bitte, mach das Ruhe ist, wenn er nach Hause kommt. Bitte hilf mir und meinen Kindern.’
Abermals versucht sie sich zu erheben und irgendwie ist es ihr möglich an das Bett ihrer Tochter zu gehen. Zum Glück ist ihr Sohn nicht wach geworden. Es dauert nicht lange. Nur ein paar Berührungen und das Gefühl das sie bei ihr ist, und schon beruhigt sich die Kleine wieder und schläft ein. Leise schließt sie wieder die Türe.
Tick, Tack.
Tick, Tack.
Ihr Blick fällt auf die Uhr im Flur und ihre Handtasche. Sie erinnert sich an einen Prospekt von einer Beratungsstelle, der ihr vor Tagen schon in die Hände gefallen ist.
‚Sollte sie sich Hilfe holen? Sollte sie in ein Frauenhaus gehen? Wenn sie nur wenigstens jemanden hätte, dem sie sich anvertrauen könnte. Jemanden, der ihr zuhört und einen Rat geben könnte. Ihre Scham in ihr, über diese Pein, ist zu groß. Die Wunden ihrer Seele kann sie niemandem offenbaren. Es reicht schon, dass sie die offensichtlichen Verletzungen kaum verstecken kann. Sie kann ihn doch nicht im Stich lassen? Sie kann die Familie doch nicht zerstören?’
Sie faltet den Zettel wieder zusammen, versteckt ihn in einem kleinen Fach, in der Hoffnung, durch die Angst getrieben, dass er diese Informationen niemals finden wird.
Sie hört wie ein Auto vorfährt. Ganz  schnell verschwindet sie wieder in ihrem Bett.
Tick, Tack.
Tick, Tack.
Die Zeit rast in ihrer Angst regelrecht los. Auf Grund der Nachtzeit kann sie erahnen, in welch einem Zustand er sein muss, wenn er gleich die Wohnung betritt. Nein sie darf ihm jetzt nicht begegnen. Ihre Wege dürfen sich heute nicht mehr kreuzen, das wäre ihr Untergang, denn wer weiß wie lange sie das noch überleben wird. Die Angst ist zu groß und die Schmerzen der letzten Schläge sitzen noch frisch in ihren Gliedern.
Sie stellt sich schlafend und betet für sich abermals im geheimen.
‚Bitte, lass die Nacht schnell vorüber gehen und auch das alles andere, was sich derzeit Leben nennt, ein Ende finden wird.’
Tick, Tack.
Tick, Tack.

© by Emma Wolff (04.05.2012)




6 Kommentare:

  1. Liebste Emma,
    ich bin berührt von dieser Geschichte, welcher leider wohl sehr viele Tatsachen und Erlebnisse zu Grunde liegen.
    Ich bin aber auch sehr gespannt auf die nun folgenden weiteren Perspektiven.
    Danke.
    Sven

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hallo Sven,
      ja das ist eine Geschichte, die mir erst in den letzten Tagen begegnet ist und nicht mehr losgelassen hat. So ist jede Perspektive, eine Erfahrung für sich und spielt ein größeres Bild wieder, als wenn es nur auf einer Sicht ruht.
      Ich danke dir
      Emma ;)

      Löschen
  2. Liebe Emma,
    ich selbst habe solche Erfahrungen gemacht, über 30 Jahre lang. Zuerst war es mein Vater, meine Mutter hat ihn dabei unterstützt.
    Mit dem ersten Ehemann, einem Deutschen, war es nicht besser, ich wurde in diese Ehe mit 18 gezwungen. Er hat mich ständig betrogen und wollte, dass ich mit anderen Männern schlafe. Weil ich dies nicht konnte, brachte er mich in die Psychiatrie.
    Der Arzt stopfte mich so mit Midis voll, dass ich mich nicht mehr wehren konnte, wenn auch er sich sexuell an mir verging. Doch etwas in mir hat nie aufgehört zu kämpfen. Durch die Medis wurde ich sehr dick, vorher war ich superschlank. Ohne Wissen des Arztes und meines Mannes reduzierte ich die Medis mehr und mehr, bis ich sie ganz wegließ.
    Eine Psychotherapeutin, die ich später aufsuchte sagte mir, dass sie es noch niemals erlebt hätte, dass dies jemand selbst geschafft hätte, nur durch eigene Kraft. Sie bestand darauf, meinen Mann kennenzulernen. Schon nach 20 Minuten warf sie ihn aus der Therapiestunde raus mit den Worten: sie wünsche mir, dass ich so schnell wie möglich aus dieser Ehe raus käme, sie wäre noch nie einem so bösartigen Menschen wie meinem Mann begegnet.
    Unter Lebensgefahr schaffte ich es nach 8 Jahren aus dieser Ehe raus zu kommen. Frauenhäuser gab es zu dieser Zeit noch nicht.
    Dann lernte ich meinen zweiten Mann, einen Inder, kennen. Wir waren gerade einen Tag verheiratet, er war die Liebe meines Lebens, da zeigte er sein wahres Gesicht. Vergewaltigung und Mißhandlung in den schlimmsten Formen waren mein Alltag. Weil ich ihn liebte, versuchte ich es immer wieder. Erst als nach 5 Jahren Ehe und der Geburt meiner Tochter, die er total ablehnte, nachdem ich durch seine Mißhandlungen meinen Sohn während der Schwangerschaft verloren hatte, schaffte ich es, ebenfalls nach 8 Jahren Beziehung und 7 Ehejahren auch aus dieser Ehe heraus zu kommen.
    Gehirnerschütterung, angebrochene Rippen, ausgerenkter Kiefer sind nur einige der Verletzungen, die ich überstanden habe.
    Noch zwei Jahre bedrohte er uns, überfiel uns nachts und und und., die Polizei unternahm überhaupt nichts.
    Meine Tochter bekam Leukämie, ich selbst Krebs, Herzinfarkt und ständig Lungenentzündungen. Wir hatten Glück, ein Arzt lud uns in die USA ein, als meine Tochter vier Jahre alt war. Mit dem, was ich dort erfuhr und lernen konnte, wurde die Leukämie und mein Krebs geheilt. Ein japanisches Heilmittel hilft meiner Tochter und mir auch heute noch überhaupt am Leben zu sein.

    In meiner Geschichte käme vor unter anderem:
    Tick Tack
    Schon seit Stunden hocke ich zusammen gekauert im Bad unterm Waschbecken hinter der Tür, es ist der einzige Platz, der mir einigermaßen Schutz bietet. Seine Wut läßt einfach nicht nach, ich weiß nicht warum, er kam schon so von der Arbeit nach Hause.
    Auch ich habe gearbeitet, war 10 Stunden unterwegs, wollte nur meine Hausarbeit machen, bin totmüde. Immer und immer wieder kommt er ins Bad und traktiert mich mit den Füßen…

    AntwortenLöschen
  3. Oder
    Tick Tack
    Ich liege im Bett aber kann nicht schlafen. Es ist schon weit nach Mitternacht, Er ist noch nicht zu Hause, Er arbeitet als Croupier in einem der größten privaten Spielcasinos Deutschlands. Danach fährt er noch oft nach Konstanz in ein staatl. Spielcasino, denn am eigenen Arbeitsplatz darf er nicht spielen.
    Er verliert immer, wenn er dann nach Hause kommt, geht er vorher noch in eine in der Nähe gelegene Kneipe und trinkt, obwohl wer weiß, dass er als Inder keinen Alkohol verträgt.
    Tick Tack
    Schritte sind zu hören, Er kommt die Treppe herauf. Ich stelle mich schlafend. Im nächsten Moment geht das Licht und er redet laut auf mich ein. Ich reagiere nicht. Er zieht mir die Bettecke weg und fällt über mich her. Ich versuche zu schreien, obwohl ich weiß, dass niemand darauf reagiert. Er hält mir den Mund zu und auch die Nase und würgt mich. Ich bekomme keine Luft mehr, kann nicht mehr atmen, Panik macht sich in mir breit und das Wissen, wenn ich jetzt reagiert, bin ich tot.
    Etwas wie eine übermenschliche Kraft macht sich in mir breit, ich stelle mich tot, trotz Atemnot. Nach schien endlosen Minuten, wohl in dem Glauben, ich sei tot, läßt er los.
    Obwohl ich mich tot gestellt hatte, sind alle nur erdenklichen Kräfte in mir wach. Kaum dass er mich loslässt, springe ich auf und hechte durch die nächst gelegene Türe, es ist die Türe zum Balkon. Er kommt mir hinterher, die Nachbarn sind aufmerksam geworden, trotz sehr später Stunde, und hängen hinter den Fenstern, ich kann sogar ihre Gesichter erkennen.
    Mir bleibt keine Wahl, ich kann nicht mehr zurück, klettere über das hölzerne Balkongeländer und hänge nun außen am Balkon im ersten Stock, bereit zu springen, um dieser Hölle zu entkommen. Niemand tut etwas. Endlich zieht er sich zurück. Ich weiß nicht woher die Kraft kommt, mich wieder hochzuziehen.
    Vorsichtig schleiche ich mich in die Wohnung, schaffe es in die Toilette, schließe sie ab und klettere aus dem Fenster, das dort am Hang auf Erdgeschoßhöhe sich befindet. Ich laufe ins Nachbarhaus, die mich zuerst nicht herein lassen wollen. Es ist mittlerweile nach 2.oo h morgens. Von dort informiere ich die Polizei. Als diese eintrifft, ist er mitsamt meinem Auto verschwunden.
    Die Polizei rät mir, alle Türen zu verschließen und ihn nicht herein zu lassen, dann gehen sie wieder. Kaum ist die Polizei weg, steht Er in der Wohnung.
    Alle Räume hatten sie durchsucht, nur nicht den ganz kleinen Vorratsraum mit der Schiebetüre in der Küche.
    Ich greife nach einem Messer, drohe mich damit zu töten, wenn er näher käme. Er greift in das Messer und schneidet sich in die Hand. Das Blut macht ihn rasend.
    …….Mit angebrochenen Rippen, einer schweren Gehirnerschütterung und ausgerenktem Kiefer liege ich am Boden, während er ins Krankenhaus gefahren ist, um sich seine Wunde an der Hand verbinden zu lassen.
    Mit einem Kinnhacken renke ich mir den Kiefer wieder ein, die Schmerzen sind wahnsinnig, ich verliere fast das Bewusstsein. Muß zur Toilette, kann aber nicht mehr aufstehen. Auf dem Bauch krieche ich dorthin, kann aber nicht aufstehen, reiße das Handtuch vom Haken und klemme es mir zwischen die Schenkel, anders geht es nicht.
    Tick Tack
    Der Morgen kraut, ich muß zur Arbeit, bin Chefsekretärin und habe zur Zeit den einzigen Schlüssel: der Chef und meine Kollegin sind im Urlaub, 30 Mitarbeiter werden erwartet.
    Filmriß…finde mich im Büro wieder, irgendwie mit übernatürlicher Kraft…
    Die Mitarbeiter sind entsetzt über mein Aussehen, sagen aber nichts, als der Chef aus dem Urlaub kommt, werde ich entlassen….
    Tick Tack
    Tick Tack

    AntwortenLöschen
  4. Das Schlimmste bei dieser Geschichte ist, dass wirklich niemand half. Die Nachbarn sahen zu und selbst die Polizei unternahm nichts. Heutzutage ist dies hoffentlich anders. Und was auch ganz schlimm ist sind die Schuldgefühle. Von Klein auf eingeprügelt zu bekommen, dass man es nicht anders verdient hätte und an allem selbst Schuld sei ist wie eine riesige Falle. Daraus zu kommen ist wahnsinnig schwer.
    Ich habe über 20 Jahre gebraucht, um das Gewesene aufzuarbeiten und hinter mir zu lassen. Und noch heute sieht niemand meinen Kampf und die Leistung, die ich vollbracht habe, sondern ich werde als alleinstehende Frau ausgegrenzt und gemieden.

    Seit 26 Jahren lebe ich alleine und habe nie etwas anders gemacht als zu arbeiten, um meiner Tochter ein gutes Leben und eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Sie ist seit einem Jahr dipl. Jugend- und Heimerzieher und arbeitet jetzt als Gruppenleiterin in einem sehr fortschrittlichen Kindergarten.
    Trotz einer extremen Herzschwäche habe ich selbst über 30 Jahre versucht, Kindern und Jugendlichen zu helfen, war Anlaufstelle für Jugendliche in Not, doch mittlerweile habe ich keine Kraft mehr und muß immer wieder feststellen, dass das Schlimme immer und immer wieder das Wegsehen ist.

    Warum ich diese Zeilen schreibe, ich möchte Mut machen, ich habe den schlimmsten Terror erlebt den ein Mensch sich vorstellen kann, über 30 Jahre lang, ich habe überlebt und es lohnt sich immer, sich da heraus zu kämpfen.

    JEDER ist es Wert, mit Achtung und Respekt behandelt zu werden und JEDER muß sich selbst diesen Wert bewusst machen, daraus erwächst eine ungeahnte Kraft. Glaubt mir, es lohnt sich.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Jyoti,

      so danke ich dir wirklich sehr, das du deine Geschichte hier mit allen teilst, denn sie ist wichtig und kann anderen Opfern, so wie außenstehenden Menschen, helfen zu verstehen, um vielleicht ein Bewusstsein zu bekommen, das es eben nicht normal ist, das häusliche Gewalt nicht zum Alltag gehören sollte, damit die Scham verschwindet und auch das Schweigen und stille, versteckte Zuschauen ein Ende findet, denn leider hat sich auch heute noch nichts verändert. Es wird getuschelt, geurteilt und geschwiegen, wobei auch das immer Gründe hat.

      Diesen ersten Teil wollte ich auch noch etwas drastischer Schreiben, aber habe es dabei belassen, da es so oder so, für viele schon sehr viel ist, was sie nicht "eigentlich" nicht lesen wollen. Wobei ich sehe das es gelesen wird, auch wenn man sich mit Kommentaren zurückhält. Aber darauf kommt es nicht an. Wichtig ist, das die Augen nicht verschlossen werden, vor einem Problem, welches hinter jeder 4.Tür in Deutschland geschieht. Die Dunkelziffern aber noch viel höher sind.

      Da dies auch erst der erste Teil dieser Geschichte war, möchte ich mich auch etwas kürzer halten, da es ganz am Ende auch noch sehr persönliche Worte von mir geben wird.
      Dennoch danke ich dir und hoffe das einige die das lesen, mut schöpfen können um zu helfen, zu helfen, denen die Hilfe brauchen. Mut zu schöpfen, diese Hilfe auch anzunehmen und sich aus dieser Gewalt zu befreien.

      Danke für diese Geschichte, die hoffentlich viele Lesen werden.

      Löschen